häufige Störungsbilder
Ein psychisches Trauma ist ein lebensbedrohliches Ereignis, das extreme psychische Belastungen erzeugt und zu einer Reizüberflutung führt.
Eine lebensbedrohliche Situation führt bei höheren Tierarten zu einer von zwei möglichen primären Grund-Reaktionsmustern: Flucht oder Verteidigung. Falls keine dieser beiden Reaktionen Aussicht auf Erfolg hat, kann es je nach Tierart und Umständen zu einer weiteren möglichen Reaktion kommen: dem Totstellreflex. Bei Ratten kann er als Erstarrungs-Reaktion in Zimmerecken leicht festgestellt werden. Es gibt deutliche Hinweise, dass der Totstellreflex mit menschlicher Dissoziation in einem sehr engen Zusammenhang steht. Die Prozesse, die diese urtümlichen Reaktionsmuster steuern, finden im Gehirn statt.
Bevor wir sie verstehen können, müssen wir uns mit der Funktionsweise des Gehirns näher vertraut machen. Wie funktioniert das menschliche Gehirn normalerweise? Die folgende Darstellung versucht die weitaus komplizierteren und detaillierteren Erkenntnisse der Hirn- und Trauma-Forschung für die Allgemeinheit zugänglich zu machen und ist deshalb etwas schematisch und stark vereinfacht. Die folgenden Gehirnteile sind für das Verständnis der Trauma-Vorgänge relevant:
1. Das Stammhirn (Thalamus) ist eine Art "Schaltzentrale", ähnlich einer Telefon-Vermittlungsstelle. Es stellt Verbindungen zwischen den ankommenden Sinnesreizen (vom Rückenmark, Sehnerv, Hörnerv, usw.) und den anderen Gehirnteilen her.
2. Die Amygdala dient als eine Art "Vorfilter" für Sinneseindrücke, das "unwichtige" Sinneseindrücke von wichtigen (ggf. überlebenswichtigen) unterscheidet und ihnen eine Bedeutung zuordnet. Hier entstehen die grundlegenden Gefühle von Angst und Wut.
3. Der Hippokampus erzeugt eine räumliche Karte der Umgebung (Orientierung). speichert einfache Erinnerungen, und kategorisiert die Erfahrungen ähnlich einer Skizze.
4. Die impliziten Gedächtnisse sitzen in den evolutionsgeschichtlich älteren Teilen des Gehirns. Sie speichern die vor- interpretierten Sinneseindrücke aus der Amygdala und kategorisierte Erfahrungen aus dem Hippokampus weitgehend uninterpretiert. Für jeden Sinn gibt es mehrere voneinander getrennte unabhängige implizite Gedächtnisse: so gibt es beispielsweise eins für Töne und Geräusche, eins für Gerüche, für Farben und Formen, und so weiter. Die Inhalte der impliziten Gedächtnisse sind nicht zeitlich sortiert, sondern kategorischer Art wie z.B. "Heisse Herdplatte = Verbrennungsgefahr" oder "Torte = Nahrungsmittel = Speicheldrüsen aktivieren" oder "lautes Explosionsgeräusch = Lebensgefahr = sofort in Deckung werfen ohne lange nachzudenken". Es ist wichtig zu wissen, dass diese nicht-zeitliche Interpretation auf relativ niedriger Ebene stattfindet (wie bei Tieren) und einen "automatischen" Charakter hat, und dass es unabhängig vom expliziten Gedächtnis und oftmals auch unbewusst abläuft!
5. Das Großhirn (auch Neokortex genannt) ist beim Menschen prozentual sehr viel größer als bei fast allen anderen Tieren; es ist entwicklungsgeschichtlich das Jüngste und Sitz des normalen Alltags-Bewusstseins und Alltags-Gedächtnisses. Man nennt dieses Gedächtnis auch das explizite Gedächtnis oder narratives Gedächtnis, weil es längere Szenen und Geschichten speichern und wiedergeben kann. Es ist in der Lage, längere Ketten oder zeitliche Folgen von Ereignissen oder Sinneseindrücken zu bewerten, zu interpretieren, und ihnen einen Sinn zu geben. Das Großhirn arbeitet wesentlich langsamer als alle anderen Gehirnteile, dafür kann es aber auch wesentlich mehr (was nicht zuletzt auch den Unterschied zwischen niederen Tieren und Primaten / Mensch ausmacht).
Zum Verständnis der Trauma-Vorgänge ist wichtig, dass man sich den "Datenfluss" durch dieses System genauer ansieht: die Sinnesreize (vom Sehnerv, Hörnerv, Rückenmark usw.) laufen als erstes im Thalamus ein, wo sie vorgefiltert und durch die Amygdala vor-interpretiert werden. Beispielsweise werden hier bereits bestimmte Formen wie z.B. Buchstaben oder Silhouetten wie die eines angreifenden Tigers erkannt. Diese schematische Erkennung geht relativ schnell; dies war in der langen Evolutionsgeschichte ein deutlicher Überlebens-Vorteil. Als Ergebnis dieser Vor-Interpretation kommen Meldungen wie "Gefahr" oder "Liebes/Fortpflanzungs-Partner entdeckt" heraus. Dies ist für das Überleben besonders wichtig! Die vor-interpretierten Sinneseindrücke werden nun an den Hippokampus und an das implizite Gedächtnis weitergeleitet. Letzteres sucht nach passenden Vorerfahrungen, die ggf. auch die gleichen Gefühle wie bei den Vorerfahrungen auslösen. Das Ergebnis der Kategorisierung wird an das Großhirn weitergeleitet. Über diesen Weg gelangen vermutlich auch die ausgelösten Gefühle wie z.B. Wut oder Angst in das Bewusstsein (sofern sie von der Schaltzentrale "durchgelassen" werden). Man nimmt an, dass auch Erfahrungen aus dem Großhirn wieder in die Amygdala zurückwandern und dort Gefühle auslösen können. Als Ergebnis dieser Bewertungsvorgänge kommen je nach Situation Handlungsansweisungen heraus, beispielsweise "schreie laut" oder "so schnell wie möglich weg von hier", die an das motorische Nervensystem weitergeleitet werden. Da die Bewertung sowohl in den impliziten als auch im expliziten Gedächtnis stattfindet, haben beide Gedächtnis-Arten während ihrer langen Evolution die Fähigkeit entwickelt, die Kontrolle über die Reaktionen und damit das Handeln übernehmen zu können. Allerdings gibt es im Normalzustand des Menschen eine Aufgabenteilung, die etwa folgendermaßen beschaffen ist:
* "Automatisierte" Vorgänge wie das Gleichgewichthalten beim Skifahren oder Surfen, das Kuppeln und Schalten beim Autofahren, oder das Schreiben von Buchstaben (nicht jedoch die Sinn-Inhalte des Geschriebenen!) werden vom impliziten Gedächtnis gesteuert; man kann dies daran erkennen, dass die entsprechenden Vorgänge trainiert werden müssen. Klavierspieler können ein Lied davon singen!
* "Höherwertige" Vorgänge wie das Erfassen des Sinns von Worten finden ausschließlich im Großhirn statt, da nur dieses die dazu notwendige Ausstattung hat. Grundsätzlich können beide Gedächtnis-Arten die Kontrolle über die Handlungen übernehmen.
Wie verändern sich die Gehirnfunktionen bei einem Trauma?
Eine gefährliche Situation wird zunächst in der Amygdala festgestellt; dies geschieht ganz automatisch und ohne Zutun des Großhirns. Daraufhin werden Hormone wie Glukokortikoide und Serotonin ausgeschüttet, die den Körper in Alarmbereitschaft versetzen und Energie-Reserven mobilisieren. Innerhalb des Gehirns kommt es nun zu einer folgenschweren Umschaltung des normalen Datenflusses und zu einer Umverdrahtung, die die gesamte Funktionsweise des Systems grundlegend ändert: Die Entscheidungsfindung durch das Großhirn wird unterbunden, indem die Verdrahtungen zwischen Amygdala und Hippokampus regelrecht unterbrochen (gekappt) werden. Große Teile der Nachrichten werden dadurch erst gar nicht an das explizite Gedächtnis weitergeleitet. Die Reaktionen auf die Gefahr werden fast ausschließlich von den impliziten Gedächtnissen gesteuert. Diese Unterbrechung zwischen verschiedenen Gehirnteilen wird von einigen Gehirnforschern auch Dissoziation genannt. Dissoziation bedeutet wörtlich "Scheidung" oder "Trennung"; die verschiedenen Gehirnteile stehen nun nicht mehr miteinander in vollem Kontakt und können teilweise unabhängig voneinander verschiedene Dinge tun. Durch diese Trennung wird vor allem die Reaktionszeit stark beschleunigt. Während das Großhirn zu einer angemessenen Bewertung einige Sekunden benötigen würde, kann eine Flucht oder Verteidigung durch die impliziten Schaltkreise sehr viel schneller organisiert werden. Die Entscheidungswege werden durch die Umverdrahtung drastisch verkürzt! Während dies vor Urzeiten ein deutlicher Überlebensvorteil war, kann dies bei "künstlichen" und "menschengemachten" Traumata wie sexuellem Missbrauch fatale Folgen haben, allein schon wegen der relativ langen Dauer solcher Traumata. Wie man u.a. durch Tierversuche nachgewiesen hat, führen schwere und häufig wiederholte Traumata zu einer dauerhaften Umverdrahtung von Nervenverbindungen (insbesondere zwischen Amygdala und Hippokampus) und zu einer physiologisch nachgewiesenen Schrumpfung des Hippokampus. Der Hippokampus ist bei schwer Traumatisierten nachweisbar kleiner als bei Gesunden (bis zu 90 %!), und einige seiner Verbindungen zu den anderen Gehirnteilen sind teilweise unumkehrbar unterbrochen. Eine dauerhafte Störung des Gleichgewichts von Botenstoffen im Gehirn ist ebenfalls nachgewiesen, und zwar als kausale Folge von wiederholten Traumatisierungen!
Was sind die weiteren Folgen dieser anderen Funktionsweise?
Traumatische Erfahrungen werden vor allem in den impliziten Gedächtnissen gespeichert. Das Großhirn (und damit das explizite Gedächtnis / der Verstand) wurde ja während des Traumas nicht mehr mit allen Informationen versorgt und bekam nur noch Bruchteile von dem mit, was vor sich ging; im Extremfall kaum noch etwas. Daher kann es u.U. kaum etwas davon abspeichern. Auch die Entscheidungen in der Trauma-Situation haben kaum mit dem Verstand zu tun und laufen automatisiert in den impliziten Gedächtnissen ab. Als Traumatisierter ist es wichtig zu wissen, dass dieses prinzipell nicht mit dem Verstand beeinflusst werden kann, sondern durch einen biologischen Mechanismus automatisch abläuft, da es offensichtlich von der Natur so gewollt ist. Die Trauma- Hormone schalten die Funktionsweise des Gehirns vollkommen um. Verstandes-Entscheidungen und -Bewertungen sind in Trauma- Situationen rein körperlich kaum noch möglich. Soweit sie trotzdem stattfinden, haben sie kaum Einfluss auf das Geschehen, weil die Kontrolle fast vollständig von den impliziten Schaltkreisen übernommen wird. Dies erklärt auch die häufigen Berichte von Missbrauchten, dass sie etwas getan haben, was sie eigentlich gar nicht wollten. Oftmals ist weder Flucht noch Verteidigung möglich. Daher kann man in so einer Situation auch kaum noch Verantwortung im üblichen Sinne tragen bzw. moralische Schuld auf sich laden. Die üblichen Instanzen sind bei Lebensgefahr lahm gelegt und abgeklemmt. Das nackte Überleben hat Vorrang vor allem anderen, und eine willentliche Steuerung ist physiologisch kaum noch möglich.
Die Dissoziation des Großhirns ist jedoch nicht der einzige Effekt: während das Großhirn seine Aktivitäten beinahe einstellt, tritt bei den impliziten Schaltkreisen genau das Gegenteil ein. Durch die Hormonausschüttung werden die Informationen teilweise nicht mehr vorgefiltert, sondern gelangen uninterpretiert und mit einer höheren "Bitrate" als normalerweise in die Amygdala und in die impliziten Gedächtnisse. Die dadurch entstehende Reizüberflutung scheint einen Überlebensvorteil in gefährlichen Situationen zu haben: die impliziten Gedächtnisse suchen fieberhaft nach Auswegen und Fluchtwegen, ggf. auch nach Gegenangriffswegen. Dazu werden alle Informationen aufgenommen, die zu kriegen sind, auch scheinbar nebensächliche Details. Diese werden jedoch nicht vom Großhirn bewertet und interpretiert, sondern von den impliziten Gedächtnissen in roher Form verarbeitet und oft nur dort gespeichert. Das explizite Gedächtnis bekommt nicht alles mit und speichert große Teile des Traumas erst gar nicht.
Die Reizüberflutung führt langfristig zu einer erhöhten Empfindlichkeit gegenüber bestimmten Geräuschen, Licht, Gerüchen, Worten oder emotionsgeladenen Situationen wie z.B. Streit, was oftmals von der Umgebung als "hohe Sensibilität" ausgelegt wird (besonders auffallend bei hochsensiblen Babies und Kleinkindern).
Weil dies auf der niederen Steuerungs-Ebene geschieht, kann man mit dem Verstand nur wenig gegen diese ADS/ADHS-artigen Symptome machen. Das Abkoppeln des expliziten Gedächtnisses von diesem "Eigenleben" der niederen Steuerungsebenen erklärt die bei Traumatisierten häufig beobachtbaren dissoziativen Symptome: das Nicht-Erinnerungsvermögen an Trauma-Situationen nennt man auch dissoziative Amnesie. Die Abtrennung des Großhirns vom Nachrichtenfluss bewirkt, dass keine oder nur wenige sinngebenden Bewertungen vorhanden (bzw. physiologisch möglich) sind und auch kaum etwas im expliziten Gedächtnis gespeichert ist. Da die impliziten Gedächtnisse zustandsabhängig arbeiten, werden die dort gespeicherten Informationen nach dem Ende der Lebensgefahr manchmal nicht mehr aktiviert; sie scheinen "vergessen" (Amnesie). Oder sie werden in bestimmten Situationen aktiviert, scheinen aber sinnlos zu sein, was dann zu Bewertungen durch die Umgebung wie "hochsensibel" führen kann.
Ein derartiger scheinbarer "Vergessens"-Zustand kann jahrelang andauern, bis er z.B. durch die Spätform einer Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) aufgehoben wird (sog. "komplexe PTBS" oder "chronifizierte PTBS"). Wegen ihrer großen Bedeutung für das Überleben speichern die impliziten Gedächtnisse das Trauma vermutlich sogar recht detailliert; im Normalzustand sind diese Informationen aber nicht aktiviert und unzugänglich (ähnlich wie man die automatisierten Vorgänge beim Autofahren kaum oder nur schwer detailliert beschreiben kann, sondern sie nur dann ausführt, wenn man tatsächlich am Steuer sitzt). Charakteristisch für die dissoziative Amnesie ist, dass bewertete und sinnvolle Informationen im Großhirn kaum bis gar nicht vorhanden sind, und auch noch so starkes Nachdenken auf Verstandesebene nichts zu Tage fördern kann. Wer von dissoziativer Amnesie betroffen ist, der weiß oft nicht einmal von der Existenz des Traumas; wegen der fehlenden Hinweise hat er auch kaum eine Chance, von alleine darauf zu kommen. Um die Informationen in den impliziten Gedächtnissen wieder abzurufen, muss man in eine ähnliche Situation wie beim Trauma geraten. Dies kann z.B. durch einen Auslöser (Trigger) geschehen. Was dann geschieht, wird auch Flashback genannt.
Was geschieht bei einem Flashback?
Wenn die Trauma-Informationen der impliziten Gedächtnisse aus irgend einem Grund (zumeist Trigger = Auslöser) wieder aktiviert werden, dann geschieht dies häufig nur selektiv. Oft wird nur das implizite Gedächtnis für Gerüche, oder nur das für Bilder, oder nur das für Töne angesprochen. Wenn es beispielsweise nur die Körper-Wahrnehmung wie den Tastsinn und das Körper-Wahrnehmungsgefühl betrifft, wird dies auch "Körpererinnerung" genannt. Dies erklärt den vollkommen anderen Charakter von Trauma-Erinnerungen, der sich von der gewöhnlichen en Alltags-Erinnerung drastisch unterscheidet: häufig kommen Trauma- Szenen als eine Art "Stummfilm" mit nur kurzen (zeitlich ungeordneten) Szenen hoch. Diese können u.U. sogar sehr detailreich sein, aber mit scheinbar nebensächlichen Details verziert, die wegen der fehlenden Interpretation und Sinngebung durch das Großhirn einen "bizarren" und scheinbar "unwirklichen" / "gespenstischen" Charakter tragen, gleichzeitig aber mit Gefahrensignalen und Alarmgefühlen verbunden sind. Auch Körpererinnerungen können sehr detailreich sein. Je nach Art dieser blitzartigen Erinnerung kann es vollkommen unklar sein, was hinter dieser Szene steckt, weil andere wesentliche Erinnerungs-Arten wie z.B. gesprochene Worte fehlen und die Wiedererinnerung dadurch sehr einseitig sein kann, wodurch eine vernünftige Interpretation sehr schwierig werden kann.
Andererseits können die Erinnerungs-Blitz-Szenen auch Elemente enthalten, die die Art der Traumatisierung sehr klar belegen. Wenn beispielsweise die Geschlechtsorgane eines anderen Menschen (die ja normalerweise durch Kleidung verdeckt sind) eine besondere Rolle in einer solchen "gespenstischen" Szene spielen, wird man davon ausgehen müssen, das diese auch beim Trauma eine entscheidende Rolle gespielt haben, auch wenn einem die Wiedererinnerung vollkommen "verrückt" und total unlogisch vorkommt. Ebenso verhält es sich mit Körpererinnungen, wenn man beispielsweise eine Vergewaltung direkt an den betroffenen Körperteilen spürt - wie wenn sie gerade stattfinden würde! Auch in solchen Fällen muss man nicht lange heruminterpretieren. Die impliziten Gedächtnisse sind wegen ihrer immensen Wichtigkeit für das Überleben und ihrer langen Evolutionsgeschichte relativ zuverlässig; eventuelle Fehlinterpretationen entstehen nicht dort, sondern bei der nachträglichen Sinngebung durch das Großhirn, die oft nur von unvollständigen Informationen ausgehen kann. Der "gespenstische" / "unwirkliche" Charakter solcher Erinnerungen ist rein subjektiv - in Wirklichkeit ist er ein Echtheitsmerkmal! Denn er belegt die Trauma-Herkunft der Erinnerung!
WICHIG: Trauma-Erinnerungen sind in der Regel anders als normale Erinnerungen. Auch die psychischen Vorgänge bei der Depersonalisation / Derealisation lassen sich durch die Trauma-Vorgänge erklären; das Großhirn kommt mit den zeitlich ungeordneten und total einseitigen / unwirklich erscheinenden und kaum zusammenhängenden Informationen aus den verschiedenen impliziten Gedächtnissen nicht zurecht und hat deutliche Schwierigkeiten bei der Interpretation.
Inwieweit dieses Phänomen der Einseitigkeit eventuell durch die dauerhaften Umverdrahtungen / Unterbrechungen im Gehirn (mit-)verursacht wird, ist noch nicht geklärt. Es könnte den Erfolg von Hypnose und EMDR bei der Wiederherstellung von (neuen) Verbindungen im Gehirn erklären. Als Überlebender sollte man wissen, dass das Phänomen der Einseitigkeit / Unwirklichkeit / scheinbaren "Verrücktheit" nicht auf eigener persönlicher Unfähigkeit beruht, sondern prinzipiell jedem Traumatisierten so geht. Man ist nicht verrückt, sondern man hat verrückt erscheinende Erinnerungen, die sich evtl. durch Trauma-Therapie auflösen und klären lassen.
Es wird vermutet, dass bei einem Flashback ähnliche Vorgänge wie beim urspünglichen Trauma ablaufen. Bereits nachgewiesen sind Ausschüttungen von Serotonin, die denen beim Trauma entsprechen. Das Oszillieren Der dadurch eintretende Retraumatisierungs-Effekt erklärt auch das charakteristische Hin- und Herpendeln zwischen dissoziativer Amnesie und Flashback-Phasen, im Fachjargon auch "Oszillieren" genannt, das bei vielen Trauma-Opfern zu beobachten ist (und manchmal auch Monate oder Jahre dauernde Perioden haben kann). Wenn beim Flashback eine Wiederholung der Umverdrahtung abläuft, kommt es wieder zu keiner Bewertung durch das Großhirn. Die Amnesie tritt nach dem Verlassen des Flashback-Zustandes wieder ein, und es hat sich praktisch nichts geändert. Solche Wiederholungen können auch dutzende oder hunderte Male auftreten, ohne dass es zu einer sichtbaren Verbesserung oder Verarbeitung kommt.
Trauma-Opfer haben oft eine extrem hohe Sensibilität für Reize aller Art, so dass dieser Zyklus im Alltag leicht ausgelöst und über lange Zeit aufrechterhalten werden kann.
Daraus ergeben sich auch Folgerungen für die Trauma-Therapie, die bisher von der klassischen Psychotherapie, die sich mit den biologischen Vorgängen bisher kaum beschäftigt hat, wenig beachtet worden sind. Weder eine reine Trauma-Exposition ohne Bewertung, noch eine Aufrechterhaltung der dissoziativen Amnesie durch Umgehung der "heißen" und "gefährlichen" Themen sind produktiv. Insbesondere Wiederholungen von Retraumatisierungen sollten vermieden werden; wer Flashbacks hat, sollte sofort eine Trauma-Therapie beginnen.
Ziel einer Trauma-Verarbeitung sollte sein, die Blockade zwischen den Gehirnteilen aufzuheben und zu einer angemessenen Bewertung der traumatischen Ereignisse zu gelangen, damit die Wiederholungen des andauernden Hin- und Herpendelns aufhören. Dies kann von entscheidender Bedeutung für den Behandlungserfolg sein.
Link zu den Behandlungsleitlinien der AWMF:
http://www.uni-duesseldorf.de/AWMF/ll/051-010.htm